Geschichten von Gondolin und Gondolon

- Fotoworkshop in Venedig -



Erstes Anbandeln

November - keine typische Jahreszeit um nach Venedig zu starten, doch genau das ist der Reiz. Venedig einmal ohne Touristen sehen, sofern das überhaupt möglich ist.

Ich verlasse das schöne Dresden gemeinsam mit der kompletten Mannschaft der SG Dynamo Dresden. Die Jungs haben morgen ein Spiel gegen 1860 München und steigen somit unterwegs aus. Für mich geht es über die Alpen bis in die schöne Lagune von Venedig.

Nach einer Busfahrt durch Mestre und andere venezianische Vororte stehe ich plötzlich an der Piazza Roma. Der erste Eindruck ist grandios. Wassertaxis, Wasserbusse, Gondeln. Der Canal Grande liegt vor mir und auf ihm wimmelt es von Wasserfahrzeugen. Ich nehme einen Wasserbus und lasse mich, vorbei an San Marcuola und Rialto zu einer Anlegestelle in der Nähe meines Hotels bringen.

Nach einer kleinen Verschnaufpause stürze ich mich ins venezianische Getümmel. San Marco und Castello - enge Gassen, schmale Kanäle, hunderte Brücken und um jede Ecke scheint eine Gondel zu kommen. So würde ich meinen kleinen Rundgang beschreiben.

Etwas geschockt bin ich von den Touristenmassen, die sich die Ria Degli Schiovani entlang schieben. Ebenso durch die kleinen Gassen in denen bei Versace, Gucci und Co. geshoppt werden kann.

Ich möchte hoffen, das die drei Kreuzfahrtschiffe daran schuld sind, die ich im Hafen gesehen habe und vor allem, dass diese Venedig bald verlassen.

So ganz kann ich mir noch keine Meinung bilden zu der berühmten Lagunenstadt. Die Kanäle faszinieren, egal ob "Der Große" oder die ganz kleinen. Die Gassen, die ganz ganz schmalen haben ihren Reiz, zeigen Venedig ungeschminkt - manchmal sehr ungeschminkt. Doch die Sträßchen, wo sich ein Geschäft ans nächste reiht, wo sich Touristen nur noch hindurchschieben können - das ist kein Venedig was mir gefallen könnte.



Das andere Gesicht Venedigs

Es ist 6 Uhr morgens - Venedig schläft noch. Wir sind schon unterwegs zum Markusplatz. Die Luft ist klar und die Gassen feucht. Noch ist es dunkel, doch bald wird das erste Morgenlicht die blaue Stunde einläuten. Es dauert nicht lange, dann steht ein Stativ neben dem anderen. Es wird probiert und gefummelt - noch 5 cm nach links, noch diese Einstellung ändern, abdrücken - Bildcheck. Das Ganze noch einmal mit anderen Parametern. So vergeht die Zeit wie im Fluge und schon ist es hell. Ich wechsele den Standort, will wieder zum Canal Grande. Heute liegt die Ria Degli Schiovani verlassen da und es ist absolut ruhig - nur die Gondeln wiegen sich leicht im seichten Wasser. Doch was ist das? Die Aida Aura kreuzt durch den Kanal. Bizarr, dieses riesige Schiff hier durch die Lagune fahren zu sehen. Kurz darauf ein zweites, noch größeres. Nun sind zumindest die Touristenströme von gestern Geschichte.

Der Hunger treibt mich zurück zum Hotel und dabei verpasse ich doch beinahe das Acqua Alta. Verpasse, wie das erste Wasser auf dem Markusplatz aus den Gullis quillt. Doch frisch gestärkt geht es gleich wieder hinaus. Inzwischen ist die Hälfte des Platzes unter Wasser und ich greife auf die Plastikgamaschen zurück, die plötzlich an jeder Ecke angeboten werden. 10 cm hoch wate ich nun durchs Wasser und es steigt weiter. Doch dieses Phänomen ist hier nichts besonderes, es kommt in Venedig häufig vor und hält nie lange an. Schon nach 6-8 Stunden ist alles vorbei.

Nach ein bisschen Theorie am Vormittag starten wir gegen 11 Uhr nach Dorsoduro, einem der größten und vielfältigsten Stadtteile von Venedig. Hier ist die Stadt noch ein wenig ruhiger, die Menschenmassen komplett verschwunden. Ein Regenguss kann uns nur kurz abhalten die kleinen Gassen zu erkunden. Eine Pizza im Gehen - man will ja nix verpassen. Gasse an Gasse, Piazzo an Piazzo. Hier gibt es sogar Bäume, wenn auch sehr wenige. An der Fondaria Rio Marin del Garzotti legen wir eine kleine Pause ein. Mit Blick auf den Kanal Rio Marin darf ein Stückchen Kuchen auch mal sein. Inzwischen sind wir nur noch zu zweit, den Rest der Gruppe haben wir irgendwo "verloren". Wir schlendern weiter und suchen uns einen Wasserbus. Nur ein kleines Stück bis Rialto - wollen bei Abendlicht noch ein wenig durch San Polo tingeln, bevor wir schließlich das Hotel ansteuern. Es ist kurz nach 17 Uhr und die Sonne geht unter - ihr schönes Abendlicht nimmt sie leider mit.



Das weltschönste Ghetto

Blaue Stunde am Canal Grande, Sonnenaufgang auf dem Markusplatz - das hatten wir doch alles schon? Und doch ist es heute anders. Es ist kalt und wird immer kälter, denn der Himmel reißt auf und schenkt uns statt einheitsgrau heute leuchtend rote Wolkenschleier.

Nach dem Frühstück soll es heute Bildbearbeitung geben. Doch bei dem tollen Wetter ist die Lust bei mir gering im Hotel zu sitzen. Also verleite ich Franz dazu mit mir ins Ghetto zu fahren. Das Ghetto ist das ehemalige Viertel der Juden und es ist auch heute noch ein Stadtteil, der jüdische Geschichte zeigt. Hinzu kommt, es ist dort anders, weiter, breiter, aber auch höher. Die Menschen wurden damals in hohe Häuser eng zusammen gepfercht, dennoch sind die Kanäle breiter und die meisten Gassen bieten ausreichend Platz um gemütlich zu bummeln. Es mutet teilweise dörflich an, aber vor allem lebt es. Hier gibt es noch den Bäcker von Nebenan und eine Horde Schüler, die nach Schulschluss in Trauben durch die Gassen drängt.

Acqua Alta lässt das Wasser über den Kanel schwappen. Das könnte mein Venedig sein. Ganz standesgemäß gibt es zum Mittag heute jiddische Kost in einem kosheren Restaurant. Leider fängt es nun doch noch an zu regnen und so bleiben wir, bis es uns dann trotz der Tropfen hinaus treibt.

Auch bei Regen kann Venedig schön und reizvoll sein, vor allem hier, wo man noch das wahre Leben sieht. Die vorbeifahrenden Boote sind nicht mehr vollgestopft mit Touristen, vielmehr werden hier Baumaterialien gefahren, wird Ware ausgepackt, sieht man Männer auf Baustellen knietief im Wasser stehen - es wird gelebt und eben auch gearbeitet.
Doch je weiter wir laufen, desto näher kommen wir wieder nach Rialto und somit in die Shoppingstraßen und zu den Touristenmagneten, bis wir schließlich nach einem langen Tag und einem langen Spaziergang zurück sind in San Marco - ein bisschen erschöpft, aber glücklich.



Von der Lichtmalerei zur Musik

Wir wollen heute natürlich wieder mit Licht malen und nach ein wenig Bildbesprechung am Morgen starten wir erneut ins Ghetto, welches eigentlich nur ein kleiner Teil des Stadtteils Cannaregio ist. Der Name Ghetto kommt übrigens von dem italienischen Wort "getto", welches eine Gießerei bezeichnet. Die Juden wurden hier in Venedig ab 1516 als religiöse Außenseiter in ein isoliertes Wohngebiet nahe einer Kanonengießerei gesperrt. Das Wort Ghetto blieb und entwickelte sich nach und nach über die Bezeichnung eines einfachen Wohnviertels für Juden zu dem heute etwas negativ belegten Begriff.

Vorbei am geschäftigen Treiben rund um die Piazza le Roma und dem Bahnhof Ferrovia tauchen wir ein in die Rio Terra Lista di Spagna, den touristischsten Teil von Cannaregio und schlendern später erneut am Canale di Cannaregio. Heute hat dieser schöne Stadtteil ein etwas anderes Gesicht als gestern - ein sonniges. Bei wolkenlosem Himmel genießen wir das einmalige Flair.

Der Abend endet heute nach einem etwas früheren Abendessen mit einem echten Venezianer. In der Chiesa San Vidal gibt es heute Vivaldis "4 Jahreszeiten". Nachdem ich gestern schon einen Vorgeschmack auf ein solches Konzert bekommen durfte, wollen wir heute erneut Vivaldi genießen. Ich kann nur sagen: Dieser Venezianer versteht es mit Musik zu malen.



Vom Leben und Sterben in der Lagune

Kurz vor 6 Uhr morgens und die blaue Stunde beginnt. Ganz langsam bekommt der Himmel ein wenig Zeichnung, ein wenig Farbe - ganz dunkles Blau. Ich stehe auf der Accademia Brücke und unter mir der schlafende Canal Grande. Bald erscheint am Horizont ein orangeroter Streifen, der den bevorstehenden Sonnenaufgang ankündigt. Eine schöne Kulisse um in den Tag zu starten.

Frisch gestärkt geht es nach dem Frühstück wieder los. Mit dem Vaporetto fahren wir um den Ostzipfel von Venedig herum bis auf die Nordseite. Von dort geht es weiter zu den nördlich gelegenen Inseln - Isola di San Michele (die Friedhofsinsel), Isola di Murano (Insel der Glasbläser) und Isola di Burano (Insel der Spitze).

San Michele ist wirklich ausschließlich eine Friedhofsinsel und beherbergt auf einer Fläche von 460 x 390 Metern abertausende Gräber. Denn in Italien werden die Toten oft in Blöcken übereinander gestapelt. Jedes Grab ist mit einem Bild des Verstorbenen versehen, ein schöner Brauch wie ich finde. Aber der Friedhof beherbergt auch herkömmliche Grabstellen.

Murano ist ein El Dorado für Liebhaber der Glaskunst, unterscheidet sich sonst jedoch nur unwesentlich von Venedig. Wir haben die Mittagszeit genutzt um uns in der Sonne den Bauch vollzuschlagen und sind ohne allzu große Umschweife weiter auf die Insel Burano gefahren.

Burano, bekannt für seine Spitze, besticht jedoch mit etwas ganz anderem - es ist bunt, wahnsinnig bunt. Jedes Haus ist in leuchtenden Farben gestrichen und die Straßenzüge links und rechts der Kanäle sind eine wahre Farbexplosion. Ein wahrer Kontrast zu den meist eher tristen und farblosen Fassaden Venedigs. Die Insel ist übrigens nur unwesentlich größer als San Michele und ist die bevölkerungsreichste Insel der gesamten Lagune. Zum Vergleich: Venedig hat ca 600-700 Einwohner pro km², Burano hingegen hat mehr als 10.000 Einwohner pro km².

Kurz bevor es dunkel wird bin ich müde und geschafft wieder zurück im Hotel. Die Pizza to go muss heute ausreichen, ich bin kaputt und möchte einfach nur faulenzen.



Der Figaro von Giudecca

Am Morgen auf dem Rialto-Markt. Die Sonne küsst die liebevoll zu einem Sträußchen gebundenen Chilischoten. Die Fischhändler drapieren ihre teils noch zappelnden Fische und Krebstiere. Hier werden Fische filetiert, dort schon fleißig verkauft und verpackt. Die Möwen warten nur darauf, am Ende ihren Anteil zu bekommen.

Zu Fuß geht es vom Markt durch die engen Gassen zum Bahnhof und von dort mit dem Wasserbus weiter zur Isola della Giudecca. Die Insel ist ein wenig abseits und bis auf ein riesiges Hotel nahezu ohne Touristen. Ich gehe in Sacca Fisola an Land und finde mich in einem reinen Wohnghetto wieder. Diesmal ohne Juden, sondern eher so wie wir das Wort Ghetto verstehen. Ein schmuckloses Wohnhaus reiht sich an das nächste, gestrichen in trostlosem kaki. Über eine Brücke gelangt man auf die nächste Insel und findet sich gleich am Rande des riesigen Hotelkomplexes wieder. In einer ehemaligen Getreidemühle untergebracht, passt es sich in die Umgebung der Insel ein. Mein Weg führt vorbei an Kanälen, alten Industriebauten und vor allem Wohnhäusern. Fernab vom Tourismus findet man hier den Frisör von Nebenan, bei dem ich mir sogleich eine neue Frisur verpassen lasse. Dabei scheine ich plötzlich 20 Jahre zurückversetzt zu werden. Das Frisörhandwerk ist hier in Venedig nicht mit dem zu Hause vergleichbar. Nicht was die Einrichtung und das Ambiente angeht und auch nicht was den Wohlfühlfaktor angeht. Hier geht es ruppig zu Werke und von Entspannung kann nicht die Rede sein. Doch die Haare sind definitv kürzer und wenn man die Tatsache bedenkt, dass ich kein Italienisch spreche und meine Frisörin kein Englisch ist es ganz passabel geworden.

Ich folge der Uferpromenade bis fast ans Ende der Insel und hüpfe auf einen Wasserbus. Dieser nimmt mich mit bis zur Isola di San Giorgio Maggiore. Eine kleine Insel, die nur unwesentlich mehr als eine weithin sichtbare Kirche beherbergt. Nachdem wir sie nun schon unzählige Male von San Marco aus fotografiert haben, wollt ich nun endlich hierher kommen. Einmal in die andere Richtung schauen, das Treiben von San Marco beobachten und vom Glockenturm aus einen traumhaften Blick über die ganze Lagune haben.

Mein Alleingang ist beendet und nach einigen Wasserbusverspätungen und -ausfällen finde ich bei der Isola di San Elena auch meine Gruppe wieder. Den Rest des Weges von hier zurück zum Hotel gehen wir gemeinsam und tauschen uns über die Erlebnisse des Tages aus.



Venedig mit Fischaugen

Halb 6 am Morgen geht es erneut zum Markusplatz und zu den Gondeln von San Marco. Der Himmel ist grau und verspricht keinen tollen Sonnenaufgang, dafür aber strahlt er, solange es noch dunkel ist, das organgerote Licht der Stadt zurück und sorgt so für ein schönes Farbspiel bei langzeitbelichteten Bildern.

Nach dem Frühstück will ich nun doch tatsächlich noch ein bisschen spielen gehen. Ich ziehe mit dem Fisheye-Objektiv los. Interessante Perspektiven bieten sich so und damit meine ich nicht krumme Boote ;-). In einer Stadt mit solch engen Gassen und Höfen bietet es sich geradezu an, diese auch ein bisschen experimentell abzubilden.

Heute Abend ist die Abschlussbildpräsentation und dafür können wir in der Mittagszeit nochmal Bilder bearbeiten. Danach geht es noch eine kleine Runde durch Dorsoduro mit Zwischenstopp bei Nico, einem schönen Eiscafé. Um 17 Uhr sind wir wieder in dem Restaurant mit dem tollen Flachbildschirm, wo wir wieder unsere Bildbesprechung machen und danach lecker Essen. Schon ist die Woche wieder rum. Ich habe nette Menschen kennengelent, von Ihnen gelernt - über Venedig, die Fotografie und manchmal auch über das Leben.

Damit verabschieden wir uns von dieser besonderen Stadt und der Lagune mit dem türkisblauen Wasser. Morgen früh geht es zurück nach Hause.



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